Mittwoch, 3. September 2014

42. „Selbst ist die Frau“

Wir vier Geschwister, etwa 1946



Mein Leben könnte man überschreiben:

„Selbst ist die Frau!“ 

und das von Kindesbeinen an.







Mein Vater, Gustav Grams, stammte aus einer evangelischen Deutschen-Kolonie in der Ukraine und meine Mutter, Berta Mantey, war eine Wolhynien-Deutsche. Ich war noch nicht geboren, da wurde 1940 im Osten die berühmte Betrugs-Aktion: „Heim ins Reich“ gestartet, wobei Deutsche aus dem Osten umgesiedelt wurden und meine Familie war dabei. Ins Reich kam sie nicht, aber in den Warthe-Gau, wo  die ansässigen Polen vertrieben wurden, die sich später dafür schrecklich  rächten. 

Dort im Warthe-Gau, in Tönningen, heute Klodawa, Polen,  wurde ich 1943  als viertes Kind meiner Eltern geboren. Mein Vater war Soldat in Russland, meine ältere Schwester leistete bereits ihr Pflichtjahr im Westen, in Dannenberg an der Elbe, ab, als sich Ende 1944  die Russen  näherten und wir fluchtartig die Gegend verlassen mussten.

Meine Mutter nähte Geld und Wertsachen in meine Windeln ein, und machte sich mit uns drei Kindern auf die Reise nach Westen. Hunger und Kälte begleiteten uns bis zu einem Flüchtlingslager bei Danzig. Dort starb meine Mutter Anfang 1945 völlig entkräftet und wurde in einem Massengrab beigesetzt.

Wir drei Geschwister versuchten nun allein über die deutsch-polnische Grenze zu kommen. Der Krieg war zu Ende, aber mein Leidensweg noch lange nicht.

Wir kamen zu unserer älteren Schwester nach Dannenberg. Aber dort stellte man bei mir Tuberkulose fest und ich verbrachte mehr als 2 Jahre in Krankenhäusern, dann nahm mich eine ältere Frau als „Vollwaise“ auf und ich konnte zur Schule gehen.

Inzwischen war mein Vater aus russischer Gefangenschaft heimgekehrt, hatte uns durch das Rote Kreuz gesucht und gefunden. Er fand auch eine neue Frau und damit eine „böse Stiefmutter“ für mich. Meine Geschwister waren inzwischen selbständig und es ging ihnen gut, aber sie halfen mir nicht.

Für mich wurde es eine sehr bittere Zeit und kaum war ich 14 Jahre alt, riss ich aus und suchte mir Arbeit als Hausmädchen und Fabrikarbeiterin und hoffte auf ein besseres Leben.

Durch Umwege erfuhr ich, dass die Schwester meiner Mutter in Argentinien lebte und Briefe und Pakete an meine Geschwister geschickt hatte. Ich war das Aschenbrödel und hatte nichts davon bekommen, bis ich eines Tages die Adresse erfuhr und mich bei der Tante in Misiones, Argentinien, meldete.

Ich bekam eine positive Antwort, sparte mir das Reisegeld zusammen, ordnete meine Papiere und reiste im November 1964 mit der Alberto Dodero nach Argentinien.

Ich war 21 Jahre alt, und weil man mir bei der Tante Vorschriften machen wollte, wie ich zu leben hätte, nahm ich mein Leben selbst in die Hand, fuhr nach Buenos Aires, arbeitete fleißig, lernte nebenbei gut Spanisch und absolvierte bestens alle Examen in Englisch, womit ich dann auch unterrichten konnte.

So war ich endlich selbständig, gründete eine Familie habe  eine neue Heimat gefunden.

In Villa Gesell , etwa 1968
Hildegard Kunzi

Zeichnung: Gerda Schwarz





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Was meinst du dazu?