Sonntag, 28. September 2014

49. Ein weiter Weg nach Argentinien

 Mein Mann, Peter Janzen,  wurde 1925 in Schönau in der Mennoniten-Kolonie Sagradowka,  heute Zagradivka, in der Ukraine geboren.

Im Krieg meldete er sich mit 17 Jahren freiwillig zur Deutschen Wehrmacht und wurde zur Überwachung der deutschen Trecks auf dem berüchtigten Marsch  “Heim ins Reich“  eingesetzt. Diese Trecks wurden nicht nach Deutschland, sondern in den Warthe Gau, in das besetzte Polen,  gebracht.

Später wurde er zu einer Kompanie in der Tschechoslowakei abkommandiert.  Mit dieser kam er nach Italien, wo er bei Kriegsende  in amerikanische Gefangenschaft geriet.

Die Amerikaner stellten die Gefangenen vor die Entscheidung:  In den Krieg gegen Japan  oder in russische Gefangenschaft.  Alle wollten lieber in den Krieg gegen Japan. Als sie aber bemerkten, dass sie gar nicht nach Japan kommen sollten,  sondern  nach Russland abgeführt wurden, gelang meinem Mann und seinem Freund eine waghalsige Flucht.


Eine Woche lang ernährten  sich die beiden von Beeren im Wald und reinigen sich und ihre Kleidung in dem kleinen Fluss, der sich dann als die Mur in Österreich herausstellte.   Eine Bäuerin entdeckte sie schließlich. Die beiden Freunde beruhigten die erschrockene Frau und erklärten ihr, sie seien geflohene Deutsche. Die nette Bäuerin half ihnen, brachte Zivilkleidung und gab ihnen den Rat, bei den Bauern auf der Hochalm  als Knechte zu arbeiten, was sie gern taten.

Später meldeten sie sich bei der englischen Besatzung und kamen in ein Arbeitslager.

Dort traten sie mit einem  Mittelsmann des „Mennonite Central Committees“ (MCC) in Verbindung, und in Zusammenarbeit mit der MCC und der UNO wurde ihnen eine neue Heimat in Paraguay angeboten und die Reise dahin finanziert.  Mein Mann erfuhr auch, dass sich seine Familie bereits  dort befand.

Peter und Anni
In Paraguay gab es schon  eine kleine deutsche Siedlung. Das Land musste erst gerodet werden und jeder hatte hier harte Arbeit zu leisten. Peter scheute die Arbeit nicht, aber er war kein Landarbeiter und fühlte sich  gar nicht gut.
Familie Janzen

Nach sechs Monaten machte er sich auf und ging über die grüne Grenze nach Argentinien, wo er in einem Sägewerk Arbeit fand und dort schwarz arbeitete, denn er hatte ja keine Papiere.

Als er endlich nach einer Amnestie gültige Ausweise bekam, war er schon Familienvater in Buenos Aires  und führte seinen eigenen Betrieb.

Peter
Anni Janzen

Zeichnung: Gerda Schwarz

Mittwoch, 24. September 2014

48. Über den Vatikan

Vertreibung, Armut, Aussichtslosigkeit, Liebe, Abenteuer- und Reiselust, Geschäfte oder auch Zufall, es gab  so viele Gründe, nach Argentinien gekommen zu sein.

Bestimmte Personen sind allerdings  gleich nach dem Krieg mit falschen Namen und Pässen der „Rattenlinie“ nach Argentinien gefolgt,  über ein Netzwerk der katholischen Kirche, das gewichtige  Leute im Vatikan oft auch zusammen mit dem Roten Kreuz gespannt hatten, um  gesuchten Top-Nazis zur Flucht zu verhelfen. 

Eine höchst fragwürdige Hilfeleistung für manchen Massenmörder, jedenfalls für Leute mit dunkler Nazi-Vergangenheit, aber mit entsprechender Verbindung zur katholischen Kirche.

So auch mein Freund Joseph, genannt Sepp. Er war Österreicher und lebt schon lange nicht mehr. 

Ich wusste, dass er seinen Aufenthalt in Argentinien dem Vatikan zu verdanken hatte. Er war ein hoher SS-Offizier gewesen, aber ob er einen falschen Namen trug und was seine Aufgabe bei den Nazis war, weiß ich nicht, er hat nie darüber gesprochen.

Aber ich weiß, dass er sein Leben lang darunter  gelitten hatte.  

Ein einziges Mal äußerte er: „Die Fehler, die ich gemacht habe, kann ich niemals wieder gut machen.“ 

Er hat nie geheiratet und keine Kinder hinterlassen, die möglicherweise eines Tages den Spuren seiner Vergangenheit nachgegangen und auf schlimme Überraschungen gestoßen wären.

Den Spruch „de mortuis nil nisi bene..., über Tote nur Gutes“, beherzige ich voll und ganz, weil ich  ihn nur als guten Freund kannte. Stets hilfsbereit und freundlich war er immer zur Stelle, wenn er gebraucht wurde und das war oft der Fall, denn er war sehr praktisch, im Gegensatz zu mir. 

Einmal hat er mir wahrscheinlich sogar das Leben gerettet, als er mich geistesgegenwärtig von der Fahrbahn stieß, während ein Auto viel zu schnell auf uns zu raste. Eine kaputte Hose und Beulen, das war alles, was ich davontrug.

Danke Sepp! 
                                      
Richard K.

Zeichnung: Gerda Schwarz

Sonntag, 21. September 2014

47. Vetter Engelbert zu Besuch in Argentinien

                 
Vom Schicksal meines Vetters  Engelbert zu berichten, fällt mir schwer, würde jedem  schwer fallen, aber es ist auch ein Beispiel dafür, was Glaube, Zuversicht und grenzenloses Selbstvertrauen aus einem Menschen machen kann, dem bereits in frühester Jugend  bitterstes Leid geschah.

Mein Vetter wurde 1935 als ältestes Kind von fünf Geschwistern in Wolhynien geboren und erlebte als Kind kurz nach dem Polenfeldzug 1940 die berühmt-berüchtigte Aktion „Heim ins Reich“ mit, die Umsiedlung in den Warthe-Gau, nachdem die dort ansässigen polnischen Grundbesitzer einfach enteignet worden waren. Sein Vater war vorher Lehrer und Kantor gewesen und wurde nun im Warthe-Gau Landwirt und bald Bürgermeister. Mein Vetter ging dort zur Schule und wenige Jahre war die Familie glücklich und zufrieden. 

Im Januar 1945 als die Ostfront bedenklich näher rückte, zog die Familie zusammen mit andren Flüchtlingstrecks nach Westen, aber bereits vor Schneidemühl, (Pita, Polen),  trafen sie auf russische Panzer, die wild um sich schossen. Als zwei betrunkene Russen seine Mutter, die das Brüderchen auf dem Wagen stillte, herunterziehen wollten, stellte sich sein Vater dazwischen und wurde erschossen. Bei den anschließenden Plünderungen wurde auch das Brüderchen, eingepackt in Federkissen, vom Wagen geworfen und überlebte nicht. 

In diesen schrecklichen Tagen fand mein Vetter einmal einen Behälter, der wie eine Flasche mit Wäscheblau aussah, steckte ihn in die Tasche und brachte ihn freudestrahlend der Mutter. Es war eine Granate, die zu Hause noch in seiner Hand explodierte. 

Er wurde schwer verletzt, die linke Hand  abgerissen, an der rechten fehlten zwei Finger und ein Auge wurde zerstört. Die Bitte seiner Mutter nach ärztlicher Behandlung war vergeblich. Für Deutsche stand kein Arzt zur Verfügung. Nur ein Pole bot der Mutter gnädig an, das Kind zu erschießen, da es die Verletzungen sowieso nicht überleben würde. Die Mutter aber kurierte den Jungen so gut sie konnte, mit Kamillentee-Waschungen, mühsamem Ausschneiden  der Splitter und Abschneiden der Hautfetzen. 

Im Oktober 1945 konnte die Mutter mit ihren vier Kindern in einem Sammeltransport Polen verlassen und dabei passierte ein weiteres Unglück. Bei der Gepäckkontrolle fand ein Pole bei seiner Mutter eine Bibel in deutscher Sprache. Im Glauben, es sei ein Nazi-Buch,  schlug er ihr damit ins Gesicht und panikartig stoben die Kinder auseinander. Dabei verloren sie noch den 5jährigen Bruder, den sie trotz späterer Mithilfe des Roten Kreuzes nie wieder gefunden haben. 

In einem Güterzug ging es dann nach Westdeutschland, nach Ülzen.  Dort begann nach und nach wieder ein normales Leben, die Kinder besuchten die Schule und Engelbert bekam eine gute ärztliche Nachbehandlung. 

Leider musste  Engelberts zweites Auge auch wegen verbliebener Splitter entfernt werden und er musste sich auf ein Leben in völliger Blindheit einstellen, lernte Brailleschrift und glücklicherweise fand er eine fabelhafte Ehefrau, die ihn  tatkräftig unterstützte. Sie bekamen zwei Söhne und haben bereits mehrere Enkelkinder.

Mein Vetter und seine Frau haben so viel für die Betreuung Behinderter in Deutschland getan, dass sie von der Bundesrepublik mehrfach ausgezeichnet wurden.


Vetter Engelbert, Ehefrau und Enkel

Dieser Vetter Engelbert  hat uns in Misiones zweimal besucht und trotz seiner Blindheit die Reisen sehr genossen. 

Hildegard Kunzi      Zeichnung: Gerda Schwarz

Mittwoch, 17. September 2014

46. Weil Chiang Kai-Chek verlor…

Der Krieg war zu Ende mit all seinen Schrecken und Verlusten, die Heimat in Ostpreußen verloren, die Eltern nach der Flucht vor den Russen gestorben, das Land in Ruinen, Hunger, Verzweiflung..... so stand ich, Werner Regier, geboren  1918,  als junger Offizier da, als ich aus dem Kriegsdienst entlassen wurde. Das begonnene Studium konnte ich nicht weitermachen, ich musste arbeiten, um zu überleben.

Durch Zufall konnte ich in München  für die amerikanischen Besatzer Transporte fahren, so auch für ein jüdisches Altersheim. Es gelang mir, meine Pistole für einen ausgedienten Lastwagen zu tauschen und fuhr danach als “Jungunternehmer” Umzüge und diverse Frachten,  und die oft großzügigen Trinkgelder gestatteten es, Frau und Tochter mit dem Nötigsten zu versorgen.
Chiang Kai-Chek
Mao Tse-Tung














Da wurde ich von meinem Geschwader-Kommodore angesprochen, ob ich beim Aufbau der chinesischen Luftwaffe teilnehmen wollte, denn Chiang Kai-Chek brauchte eine kräftige Armee, und schließlich war ja die deutsche Luftwaffe technisch auf dem letzten Stand gewesen. Es war wie ein Volltreffer beim Lotto, endlich wieder eine richtige Aufgabe und eine Zukunft vor sich zu sehen! Doch dann verlor Chiang Kai-Chek 1949 den Krieg gegen die Kommunisten und ihren Führer Mao Tse-Tung und alle Pläne waren dahin. Was nun?

Die Schwiegermutter, eine gebürtige und begüterte Argentinierin, deutscher Herkunft, bot der Familie Unterkunft und schickte Flugtickets für ihre Tochter und den zwei kleinen Kindern, die  die damals 3-tägige Flugstrecke nach Buenos Aires zurücklegten. Ich kam mit dem Schiff, weil wesentlich billiger, kurz darauf nach.

Auf dem Schiff gab es Essen und Alkohol in Fülle, Freundschaften wurden schon für die kommende Zeit in Argentinien geschlossen, und das war wichtig, hatte doch keiner eine Ahnung, was nun werden würde.

Und dann ging es an die spanische Sprache...

“ Die Zukunft Argentiniens liegt auf dem Land”, so wurde von den Kennern behauptet, also kaufte ich, verschuldet bis an die Halskrause, einen Traktor und fuhr mit meinem Sozius, Herrn Hoffmann, in die Gegend von Balcarce, um das Land gegen Bezahlung zu pflügen, zu eggen und die Ernte einzubringen. Es war ein Krampf und ein elendiges Schuften, und schließlich landeten wir wieder in Buenos Aires, wo ich zuerst als Mechaniker und dann als Fuhrunternehmer tätig war.
















Auch für die „Librería Rodriguez“ machte ich dann Fahrten. Der Besitzer,  Sr. Rodriguez, wurde auf mich aufmerksam und so wurde ich später Teilhaber von Don Ernesto, der mir alsbald riet, nach Deutschland zu fliegen, um neue Vertretungen für Zeitschriften zu erlangen. Die ersten deutschen Titel „Frankfurter Illustrierte“, „Stern“, „Bunte“,  „Revue“ u.a. hatte er schon.

Ich konnte die Modezeitschrift „Burda“ für uns gewinnen, deren Absatz in schwindelnde Höhen stieg und die Tür für viele weitere Titel aus USA, England, Spanien, Italien und der Schweiz öffnete.                                           


Ich hatte es geschafft…
zu meinem 90. Geburtstag







Werner Regier, jetzt 96 Jahre alt




Zeichnung: Gerda Schwarz


Sonntag, 14. September 2014

45. Unglückliche Besteigung des Aconcagua

1974 im Dezember war ich  wegen eines Handballturniers, (Olimpiada Universitaria), in Mendoza.

In dieser Zeit  tummelten sich im Zentrum von Mendoza verschiedene Bergsteigergruppen herum, die  dort in der Provinzverwaltung die notwendigen Papiere für die Besteigung des Aconcaguas, des höchsten Berges von Südamerika und des "Fast- Siebentausenders", erhalten wollten.

Mir liefen vier deutsche Bergsteiger in den Weg, die mit der spanischen Sprache nicht zurechtkamen und  überglücklich waren, als ich ihnen beistehen konnte. 




Sie kamen aus Bayern, waren gut ausgerüstet und freuten sich auf das lange und bestens vorbereitete Abenteuer.



Ich gab ihnen zuletzt noch meine Adresse in Buenos Aires, damit wir uns vor ihrer Heimreise vielleicht noch einmal sehen konnten.


Nach etwa zwei Wochen las ich  in der Zeitung von einem Unglück auf dem Aconcagua. Ein ausländischer Bergsteiger sei tot geborgen worden, nicht weil er abgestürzt sei, sondern wegen Lungenentzündung durch Mangel an Sauerstoff. Mehr Einzelheiten las ich nicht und hoffte sehr, dass  es  nicht etwa einer von meiner deutschen Gruppe sei.

Wenige Tage später rief mich einer von dieser deutschen Bergsteigergruppe von Retiro (Hauptbahnhof)  an und bat um Hilfe. Sie hätten Probleme gehabt und seien zu dritt. Da wusste ich gleich Bescheid. Wo war der Vierte? 

Ich habe sie sofort in Retiro abgeholt und nach Hause gebracht.
Sie erzählten, dass der Aufstieg anfangs ganz glatt verlaufen sei, der Aconcagua sei relativ leicht zu besteigen, streckenweise sogar fast mit dem Motorrad befahrbar, aber die Höhenanpassung hatte bei ihrem Freund nicht geklappt, er wurde krank,  starb gleich in der nächsten Nacht  und musste abtransportiert werden. Allein wollten die Drei nicht weiter steigen. Ein trauriges Ende ihres großen Abenteuers.

Ich brachte sie bei uns unter, bis alle Formalitäten, bei denen ich ihnen gute Hilfe leisten konnte, erledigt waren, und sie ihre Heimreise antreten konnten.

In diesen Tagen haben wir so manchen Asado (Grill) zusammen veranstaltet, wobei sie  ein wenig abschalten und auf andere Gedanken kommen konnten.

Zum Abschied sagten sie: „Eure Asado-Küche“ werden wir nie vergessen!“


Joaquín P. Mueller


Zeichnung: Gerda Schwarz

Donnerstag, 11. September 2014

44. Ein Wiedersehen nach 30 Jahren


Meine Enkelkinder besehen alte Fotoalben und da liegt auch eine Kopie von Alices Tagebuch bei. Ich fange an zu lesen:

Werner und Alice
"Endlich haben wir es geschafft, nach 30 Jahren  sehen wir uns wieder. Wir, mein Wernerle und ich, mit meiner Schwester, die schon in den fünfziger Jahren nach Argentinien ausgewandert war. 

Wir kommen in Ezeiza, Flughafen von Buenos Aires,  an und schon blitzen die Kameras.  Da stehen meine Schwester, ihr Mann und die Tochter, alle fotografieren.  Dann liegen wir uns auch schon in den Armen. Was für ein Wiedersehen - nach 30 Jahren! Es war, als wären wir nie voneinander getrennt gewesen. Wie ist das möglich?

Und was hatten wir alles vor? Natürlich wollten wir in erster Linie  uns genießen und dann  zusammen Argentinien kennenlernen. 

„Aereolinias Argentinas“, die argentinische Fluglinie,  gab uns eine unwahrscheinliche Möglichkeit. Sie boten enorm  preiswerte Flüge an, unter der Bedingung  drei verschiedene Ziele anzufliegen, nach jedem Ziel zurück nach Buenos Aires. Das war für uns ideal. Wir flogen in den Norden, in den Süden und ans Meer. Zwischendurch hatten wir genug Zeit im Hause meiner Schwester unser Reisegepäck wieder auf  Vordermann zu bringen und für Stadtbesichtigungen  in Buenos Aires. 

Cabildo


Boca


Avenida 9 de Julio

Tango auf der Straße















                                                                       
Wir bestaunten die wunderschönen alten Bauten im Zentrum, bummelten durch die „Boca“ (Hafenviertel) und machten auch einen Besuch in der Oper „Colon“. Leider war keine Spielzeit, wir fanden aber jemand, der uns das Theater zeigte. Welche Pracht! Wir verstanden, warum das Colon eines der schönsten Opern der Welt ist. 


die Oper "Colon"
Wir gingen durch die Einkaufsstraße „Florida“, bogen ab und aßen in einem Restaurant „asado“(Grillfleisch). Das sollten wir nachher  noch viel zünftiger kennen lernen. Wir sahen aber auch ganz, ganz armselige, schmutzige Straßen mit trostlosen Häusern und armen, armen Menschen.
Unser erster Flug ging in den Norden und unser nächster  Flug in den Süden......

Von unserer dritten Reise ans Meer (Villa Gesell)  gibt es eine ganz besondere kleine Episode:
Meine Schwester witzelt:“ Guck mal, auf der anderen Seite von diesem ganzen Wasser liegt Hamburg!“ Werner hat  einen Sonnenbrand und verkriecht sich unter Rosemaries Sonnenschirm. Gerda geht ins Meer, um sich ein bisschen abzukühlen. Ich genieße den weiten Strand, den blauen Himmel und auch ein wenig den Schatten. Unsere schönen Ferien in Argentinien gehen zu Ende. Was haben wir alles gesehen, was erlebt und was haben wir für eigenartige Sachen gegessen! Da gab es „Humita“ (kleine in Maisblätter eingewickelte köstliche Speisen), dann  „Locro“‘. Hätte ich gewusst, dass dieses Gericht mit Därmen zubereitet wird, hätte ich es nie gegessen, schmeckte aber vorzüglich.

 Ich döse vor mich hin und die Zeit vergeht. Ich wundere mich, die Gerda kommt gar nicht wieder? Langsam werde ich unruhig. Ich halte Ausschau. Viele Leute sind im Meer, doch meine Schwester ist nirgends zu sehen! Das gibt es doch nicht, wo bleibt sie nur? Ich bin echt  verzweifelt! 


Endlich  kommt sie anspaziert. Sie war von der Strömung abgetrieben, hatte sich im Sonnenschirm geirrt und auch uns aufgeregt gesucht.
Alice   Niemeyer               1989"

Wie schön, in Bild und Schrift diese einmaligen Erinnerungen!

Gerda Schwarz      Zeichnung: Gerda Schwarz

Sonntag, 7. September 2014

43. Durch den Gründer Eldorados

roter Erdweg in Misiones
Siehe Beitrag Nr. 42

Mein Schwiegervater Carlos Kunzi wurde in Deutschland  geboren und war 18 Jahre alt, als seine Eltern 1924  nach Argentinien auswanderten.
Sie hatten durch Vermittlung über Adolf Schwelm ein schönes Stück Land an einem Fluss in Eldorado,  Misiones, erworben. Es lag etwa 16 km vom Zentrum des Ortes entfernt.
                                                       
Haus Kunzi in Eldorado


Adolf Schwelm hatte 1919  den Ort Eldorado in Misiones gegründet und in England und Deutschland für Aussiedler geworben.






Nun wollte die resolute Mutter meines Schwiegervaters unbedingt auch eine deutsche Frau für ihren Sohn besorgen und das ging am besten über Deutschland und  durch die Kirche. Fromm, wie man damals war, wurde auch nicht lange gefragt, weder hier noch dort.  

Die Tochter eines Wanderpredigers aus sehr gut situierter Familie wurde angeboten (!). Es war Nora Liebe-Oldekop, gerade mal 18 Jahre alt, und sie kam tatsächlich im Hafen von Buenos Aires an. Mein Schwiegervater musste sie gleich im „Hotel de Inmigrantes“ am Hafen heiraten, sonst hätte sie keine Einreisepapiere bekommen.



Nora Liebe-Oldekop





Die arme Braut passte überhaupt nicht zu meinem Schwiegervater und war dann gewiss ihr Leben lang unglücklich. Künstlerisch ambitioniert mit feiner Lebensart konnte sie mit dem Leben auf dem Lande in Misiones wenig anfangen. Und nachdem sie vier Kinder geboren hatte, der jüngste, mein Mann Alfred, war gerade erst 10 Jahre alt, starb sie viel zu früh nach einem ganz unerfüllten Leben.


Es  tut mir leid, dass ich diese gebildete und unglückliche Frau in ihrem kurzen Leben nicht kennen lernen konnte.

Kaum hatte sie die Schule abgeschlossen, ging die Schwester von Alfred, Hilde, nach Buenos Aires und wurde unentbehrliche Mitarbeiterin im Delikatessengeschäft Steinhäuser in Martinez, wo ich zu der Zeit auch beschäftigt war.

Dort lernte ich ihren Bruder Alfred kennen, der auch nach  Buenos Aires gekommen war, weil dem älteren Bruder das Land in Misiones zugeteilt wurde und Alfred als Ausgleich dafür, die Erlaubnis zum Studieren in Buenos Aires erhielt. Dort schloss er mit Erfolg die Laufbahn eines „contador público“ (Wirtschaftsprüfer) ab, wir heirateten 1969  und gründeten eine Familie.

Das Schicksal führte uns aber wieder zurück nach Eldorado in Misiones, wo ich, obwohl es mir nie recht gefiel,  noch 22 Jahre wohnen musste.

Zum Glück willigte 1998 mein Mann ein, nach Villa Gesell umzusiedeln, wo wir nun recht zufrieden unseren Lebensabend verbringen wollen…


Hildegard und Alfred
Hildegard Kunzi
                                                                                                                          
Zeichnung: Gerda Schwarz


Mittwoch, 3. September 2014

42. „Selbst ist die Frau“

Wir vier Geschwister, etwa 1946



Mein Leben könnte man überschreiben:

„Selbst ist die Frau!“ 

und das von Kindesbeinen an.







Mein Vater, Gustav Grams, stammte aus einer evangelischen Deutschen-Kolonie in der Ukraine und meine Mutter, Berta Mantey, war eine Wolhynien-Deutsche. Ich war noch nicht geboren, da wurde 1940 im Osten die berühmte Betrugs-Aktion: „Heim ins Reich“ gestartet, wobei Deutsche aus dem Osten umgesiedelt wurden und meine Familie war dabei. Ins Reich kam sie nicht, aber in den Warthe-Gau, wo  die ansässigen Polen vertrieben wurden, die sich später dafür schrecklich  rächten. 

Dort im Warthe-Gau, in Tönningen, heute Klodawa, Polen,  wurde ich 1943  als viertes Kind meiner Eltern geboren. Mein Vater war Soldat in Russland, meine ältere Schwester leistete bereits ihr Pflichtjahr im Westen, in Dannenberg an der Elbe, ab, als sich Ende 1944  die Russen  näherten und wir fluchtartig die Gegend verlassen mussten.

Meine Mutter nähte Geld und Wertsachen in meine Windeln ein, und machte sich mit uns drei Kindern auf die Reise nach Westen. Hunger und Kälte begleiteten uns bis zu einem Flüchtlingslager bei Danzig. Dort starb meine Mutter Anfang 1945 völlig entkräftet und wurde in einem Massengrab beigesetzt.

Wir drei Geschwister versuchten nun allein über die deutsch-polnische Grenze zu kommen. Der Krieg war zu Ende, aber mein Leidensweg noch lange nicht.

Wir kamen zu unserer älteren Schwester nach Dannenberg. Aber dort stellte man bei mir Tuberkulose fest und ich verbrachte mehr als 2 Jahre in Krankenhäusern, dann nahm mich eine ältere Frau als „Vollwaise“ auf und ich konnte zur Schule gehen.

Inzwischen war mein Vater aus russischer Gefangenschaft heimgekehrt, hatte uns durch das Rote Kreuz gesucht und gefunden. Er fand auch eine neue Frau und damit eine „böse Stiefmutter“ für mich. Meine Geschwister waren inzwischen selbständig und es ging ihnen gut, aber sie halfen mir nicht.

Für mich wurde es eine sehr bittere Zeit und kaum war ich 14 Jahre alt, riss ich aus und suchte mir Arbeit als Hausmädchen und Fabrikarbeiterin und hoffte auf ein besseres Leben.

Durch Umwege erfuhr ich, dass die Schwester meiner Mutter in Argentinien lebte und Briefe und Pakete an meine Geschwister geschickt hatte. Ich war das Aschenbrödel und hatte nichts davon bekommen, bis ich eines Tages die Adresse erfuhr und mich bei der Tante in Misiones, Argentinien, meldete.

Ich bekam eine positive Antwort, sparte mir das Reisegeld zusammen, ordnete meine Papiere und reiste im November 1964 mit der Alberto Dodero nach Argentinien.

Ich war 21 Jahre alt, und weil man mir bei der Tante Vorschriften machen wollte, wie ich zu leben hätte, nahm ich mein Leben selbst in die Hand, fuhr nach Buenos Aires, arbeitete fleißig, lernte nebenbei gut Spanisch und absolvierte bestens alle Examen in Englisch, womit ich dann auch unterrichten konnte.

So war ich endlich selbständig, gründete eine Familie habe  eine neue Heimat gefunden.

In Villa Gesell , etwa 1968
Hildegard Kunzi

Zeichnung: Gerda Schwarz