Sonntag, 3. August 2014

32. Über die grüne Grenze

       
Unser Heino, der beste und älteste Freund von meinem Mann, Horst, war in jeder Beziehung ein Unikum. 1909 in Haiti geboren, war sein Vater Deutscher, die Mutter Haitianerin. Zuerst starb sehr früh der Vater, dann auch die Mutter. Schon mit 12 Jahren wurde der Junge ohne deutsche Sprachkenntnisse von Haiti  nach Deutschland geschickt und von seinem dort lebenden, viel älteren Bruder in einer Kadettenanstalt interniert, ein Trauma für sein ganzes  Leben.
          
Einmalig war auch sein ungewöhnlich langer Name: Heinrich, Otto, Adam, Sigismund von Heydebrand und der Lasa, (die Vornamen  vielleicht in einer anderen Reihenfolge), aber Vor und Nachnamen standen alle in seinem Pass und bei den vielen Reisen, die wir gemeinsam unternommen haben, unter anderem auch in seine Heimat Haiti mit mehreren Halts in süd-und mittelamerikanischen Ländern, war Heino die meiste Reisezeit damit beschäftigt, seine Namen auf irgendwelchen Papieren, wo natürlich stets der Platz fehlte, mühsam einzutragen.


Heino, von der einen Seite aus uraltem Adel, auf der anderen Seite Kreolen, Mulatten und, wie er sicher wusste und oft erwähnte, auch Seeräuber im Stammbaum, sympathisierte in Deutschland  zuerst ein bisschen mit den Nazis und dem Militär, aber da sein Äußeres nun nicht dem germanischen Ideal  entsprach, nutzte er ihm gebotene Beziehungen aus, ging in diplomatischen Außendienst und wurde nach Argentinien geschickt. Dort arbeitete er während des Krieges in der Spionageabteilung und erzählte später oft launig, wie er nächtlich mühsam und heimlich „feindliche Nachrichten“ dechiffrierte und übermittelte, die am Morgen groß in der Zeitung standen und jeder lesen konnte.

In der Botschaft lernten sich die beiden Freunde kennen und wurden im Juli 1944 gemeinsam aus Argentinien  ausgewiesen, in Portugal bis zum Kriegsende festgehalten und dann nach Deutschland geschafft. Jeder suchte danach auf seine Weise schleunigst wieder nach Argentinien zu kommen. Aber Ausreisepapiere gab es für  Ex-Botschaftsangestellte natürlich nicht.


Unabhängig voneinander probierten sie dann den Weg über die grüne Grenze nach Belgien,  wo in der Argentinischen Botschaft Einreisepapieren, Passagen und Garantien hinterlegt worden waren. Horst gelang es nicht, er wurde geschnappt, und nach ein paar Tagen in einem belgischen Gefängnis, wieder zurückgeschickt.
 Heino hatte mehr Glück.  Mit einem einheimischen Grenzgänger und einer „geliehenen“ jungen Frau mit Kleinkind überschritt der notorische Junggeselle bei Nacht und Nebel mit Erfolg die grüne Grenze nach Belgien und konnte von Antwerpen nach Argentinien fahren. Horst gelang der Umweg über Frankreich erst 2 Jahre später.



In Argentinien verbrachten wir  von Anfang an keine Ferien und  kaum einen Asado-Sonntag ohne unseren Heino. Die gemeinsam gespielten Skatrunden in unserem Leben kann man nicht zählen, auch nicht Heinos humorige Sprüche und Anekdoten,  die in der Familie immer mal wieder auftauchen

Anfang des Jahres 2002 starb Horst, und  Heino, 10 Jahre älter als sein Freund, starb 3 Monate später mit 93 Jahren im Altenheim in Villa Grl. Belgrano/ Córdoba, wo er seine letzten Jahre verbracht, aber wo es ihm nie gefallen hatte.


Horst und Heino, letztes Foto
Rosemarie Mueller-Wortmann    


Zeichnung: Gerda Schwarz

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