Freitag, 9. Mai 2014

03. Tante Lotte vom Roten Kreuz

                                       


So sah es 1947 bei uns in Essen aus

Aber trotz allem, wir lebten ganz  normal weiter. Das hört sich komisch an, war aber so. Denn bei allen war es das Gleiche: Hunger, schlecht gekleidet, wenig Geld, nichts zu kaufen, Schwierigkeiten zu reisen, aber…der Krieg war zu Ende, ganz langsam wurden die Straßen vom Schutt befreit und wenig später begann sogar zaghaft auch wieder ein prekäres kulturelles Leben.

Dann geschah im Hebst 1947 bei uns etwas sehr Wichtiges:

Eines Tages hielt gegen Mittag vor unserem Haus ein weißes Rote-Kreuz-Auto. Meine Tante Lotte kam aus Buenos Aires als Präsidentin des  „Comités  de Damas Alemanas, auxiliar de la Cruz Roja Argentina“ und besuchte uns zum Erstaunen der ganzen Nachbarschaft ganz offiziell.

Sie war die Schwester meines Vaters, die vor dem Krieg einen Argentinier geheiratet hatte und bereits Witwe war. Ich kannte sie persönlich gar nicht und war fasziniert von ihren rotgemalten Fingernägeln und dem blondgefärbten Haar. Zu dieser Zeit war sie zu einem offiziellen Besuch in der Schweiz.

Sie machte meinen Eltern den Vorschlag, mich für ein Jahr nach Argentinien mitzunehmen, um das Land kennen- und gleichzeitig die Sprache zu lernen.

Mein Vater unterstützte den Vorschlag und sagte zu mir:  „Ich kann hier in Deutschland nichts mehr für dich tun und glaube nicht, dass wir noch einmal aus dieser Katastrophe herauskommen! Hier gibt es wenig Zukunft für dich, vielleicht ist das eine Chance. Und wenn es dir nicht gefällt, kommst du wieder zurück!“

Daraufhin habe ich  in den Vorschlag eingewilligt, denn so begeistert war ich anfangs gar nicht davon. Ich tröstete mich aber mit dem Gedanken:   Ich kann ja nach einem Jahr zurückfahren.

Das überzeugte mich und dann begann ein endloser Papierkrieg. Am Ende bekam ich eine offizielle Einladung aus der Schweiz  unter dem Motto: „Hilfe für unterernährte deutsche Jugendliche“.

Doch zuerst bestand ich noch in Essen die „Reifeprüfung“ an der Oberschule, das deutsche Abitur, und am 9. März 1948 fuhr ich nach Luzern ab, mit noch nicht ganz 20 Jahren.

Es gab einen traurigen Abschied für mich und meine Eltern, aber mein Trost war:
Es ist ja nur für 1 Jahr! Dachte ich….

Tante Lotte und ich

Am 25. April 1948 flog ich von Genf ab nach Buenos Aires ab und das blieb bis heute mein „Zuhause“.


Ruth Hiebel

Zeichnung: Gerda S.

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